Mir ist da etwas passiert. Quasi aus dem Nichts. Samstagnacht nach meiner Schicht in der Bar wollte ich wie immer mit meinem Fahrrad nachhause fahren. Allerdings wollte sich mein Schloss auch nach mehrmaligem Versuch einfach nicht öffnen. Also entschloss ich mich die Bahn zu nehmen. Wohlgemerkt die Bahn vom Hauptbahnhof am Samstag in Hannover um 4:00 Uhr morgens. Ein Szenario das seinesgleichen sucht. Als wäre McDonald’s ein Hauptsponsor von “The Walking Dead”.

Ich stieg in die Bahn mit Musik auf den Ohren und stellte mich an eine Tür. Dabei beachtete ich die Personen um mich herum gar nicht und war völlig in Gedanken versunken. Auf einmal hörte ich ein “Hey” von einer Frau aus der Vierergruppe, die vor mir saß. “Ich kenne dich.”
Leider erkannte ich sie nicht, was mir sogleich etwas peinlich war. Ich dachte mir direkt, dass ich da betrunken gewesen sein muss als wir uns kennenlernten und versuchte nicht allzu ertappt zu wirken. “Du arbeitest doch in der Bohne oder?” Ich entgegnete mit einem eher fragenden Ja, ich wusste immer noch nicht weiter und leider konnte ich Trunkenheit auch dann immer noch nicht ausschließen. Wer den Laden kennt weiß was ich meine.

Und dann erzählten sie mir die Geschichte und es machte irgendwann klick.

Vor Monaten saß ich in der Bohne und las etwas – manchen Klischees komme ich gerne nach. Jedenfalls saßen zwei Freundinnen, die ich vorher noch nie gesehen hatte, neben mir und unterhielten sich. Ein Teil des Gespräches ging um die Zukunft von einer der Beiden. Sie war bis dato tätig im Gesundheitswesen und das auch schon seit mehreren Jahren. Über das Alter von Damen spricht man ja bekanntlich nicht. Ich kann mich nicht mehr dran erinnern was es genau war, aber sie hatte einen Beruf gelernt. Etwas wie Krankenschwester oder Assistentin. Ein Tätigkeitsbereich vor dem ich viel Respekt habe. An und für sich war sie selbst auch damit zufrieden. Es lief. Gleichzeitig war es aber auch immer ihr Traum es noch einmal mit einem Medizinstudium zu versuchen, doch sie war sich sehr unsicher. Sie hatte diesen festen Job, eine Wohnung, ein Auto. Es war alles geregelt und sie hatte sich vermeintliche Sicherheiten geschaffen. Für sie schien das Risiko sehr groß ihr bisheriges Leben für ein Studium aufzugeben und, würde sie es überhaupt schaffen?

Irgendwann und irgendwie stieg ich dann mit ins Gespräch ein, nicht als Neunmalkluger, sondern weil mich das Gespräch wirklich interessierte. Wir unterhielten uns ziemlich lange und ziemlich gut zu dritt, obwohl wir uns nicht kannten und ich vertrat die Meinung sie solle es einfach probieren. Der Sache eine Chance geben. In meinen Augen konnte sie nur gewinnen und leider habe ich das Gefühl die Menschen haben eher Angst etwas zu verlieren als den Mut etwas dazu zu gewinnen. Entweder sie beginnt das Studium und schafft es nicht, was einer ihrer größten Ängste war, doch dann würde sie danach einfach zu ihrem bisherigen Beruf zurückkehren und so leben wie bisher oder sie packt es und steht danach als gestandene Ärztin auf der Matte und lebt ihren Traum. Für mich gab es da nichts zu verlieren.

Jetzt – ein paar Monate später treffe ich diese Person mitten in der Nacht wieder. An einem Ort, an dem ich eigentlich gar nicht sein wollte und siehe da: Sie hat es gewagt. Sie studiert Medizin und mir ging das Herz auf. Dabei eröffnete sie mir dass ich, der random guy aus dem Café, der ausschlaggebende Punkt für diese Entscheidung war. Erst danach fasste sie den Mut diesen Schritt zu wagen. Das wollte ich erst gar nicht glauben, ich mein ich bin jetzt keine große Nummer, doch sie sagte gleich zu ihren Freundinnen: “Das ist der Typ aus dem Café von dem ich erzählt habe”. Nun ist es so, dass wann immer sie die Geschichte von ihrem Entschluss zu studieren erzählt, ich ein wesentlicher Teil darin bin. Für mich ein unglaublich schönes Gefühl.

Sie meinte das Studium sei schwer, vor allem das erste Semester. Lange schon sei sie aus dem Schulischen raus und müsste erst das Lernen selbst wieder lernen. Ich glaube an sie und hoffe, dass sie es schafft.
Ich meinte zu ihr nach meiner Auffassung hätte sie bereits jetzt schon gewonnen, denn selbst wenn es nichts werden würde mit dem Studium, so hätte sie doch die Gewissheit darüber.

Hätte sie diesen Schritt nicht gewagt, würde sie sich ein Leben lang fragen was wohl passiert wäre, wenn sie es getan hätte. Ich bin mir sicher am Ende eines Lebens wird man eher enttäuscht sein über das, was man nicht probiert hat als über das, an dem man gescheitert ist.
Ein Jeder ist Teil eines anderen Geschichte, auch wenn wir uns das manchmal selbst nicht so bewusst sind.

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