ich bin jetzt bachelor der wirtschaftswissenschaften. ein waschechter ökonom. wie kann es weiter gehen? muss ich jetzt karriere machen?

240 credits. 240 credits gebündelt zu einem abschlusszeugnis, seit wochen bereit zur abholung im akademischen prüfungsamt. mein erscheinen blieb bisher aus. ein stück papier, das mein gesamtes studium symbolisiert. meinen umzug nach hannover, meine semester indien und in istanbul, meine eskapaden, die raves, die veränderung meiner weltanschauung samt verschiedener zeiten geprägt von entweder missmut oder motivation, mein weg zum veganismus und minimalismus, meine bekanntschaften aus denen freundschaften wurden und meine freundschaften bei denen es allenfalls noch für eine bekanntschaft reicht. die bücher, die ich privat las und sich in meine seele brannten und die unzähligen skripte, von denen ich bereits nach wenigen wochen das meiste wieder vergessen hatte, das bulimie-lernen, literweise kaffee, die kritik an der prüfungsordnung, an den dozenten und überhaupt: der zweifel an dem gesamten studium der wirtschaftswissenschaften und an dem bachelor system an sich. 30 stunden werden veranschlagt für einen credit. in der summe 7200 stunden. sollte das hinkommen, kommt mindestens noch mal die gleiche zeit an prokrastination hinzu.

jetzt stehe ich am ende, scherzte im ersten moment noch, dass ich jetzt wissenschaftler sei, mir einen kittel zulege und geschwollen daher rede, fühle mich im nächsten moment jedoch ratlos, gar ein wenig unbeholfen und frage mich: was nun?

go get a fucking job – denkt man sich vielleicht. denke ich natürlich auch dran, aber etwas hält mich ab. erst einmal habe ich die befürchtung wieder in ein hamsterrad zu steigen wie es vor dem studium in meiner zeit in der bank schon einmal war und die zeit an mir vorbeirauschen zu sehen.

dabei ist zeit meines erachtens nach das höchste gut, dass wir in unserer gesellschaft haben und eine der wenigen betrachtungsweisen, in denen ich reich sein möchte.

ich will nicht, dass mein leben an mir vorbei zieht. diese reue habe ich schon bei zu vielen menschen gespürt.

desweiteren habe ich ein ethisches problem mit unserem maroden wirtschaftssystem. es ist verschwenderisch, unfair, von einigen wenigen geführt, materialistisch, vorsätzlich manipulierend, gierig und narzistisch. das ist meine meinung als bachelor der wirtschaftswissenschaften. alles wird gewertet und in zahlen ausgedrückt. für den rest gibt es keinen platz. die umweltverschmutzung eines unternehmens, das nicht zur rechenschaft gezogen wird, wird als externer effekt einfach ausgeklammert und als gesellschaftliche kosten abgetan und selbst, wenn unternehmungen dafür belangt werden, geht es dabei auch nur um geld. zahl eine steuer und dann ist alles gut. wo bleibt die moral?

wo bleibt das selbstverständnis gutes und nicht gieriges zu tun?

das fehlt mir. mir ist klar, dass ich damit in eine art lethargie verfalle und es sehr wohl auch gute projekte und unternehmungen gibt, doch momentan fühlt sich es an als ob selbst die nachhaltigkeitsabteilung eines unternehmens nur scheinheilig versucht den eigenen namen reinzuwaschen ohne jegliche intrinsiche motivation.
gerade heute las ich eine frage erich fromms in einem ähnlichen kontext, aber nicht weniger treffend:

“wie könnte dies auch anders sein in einem system, dessen grundprinzip es ist, die produktion nach dem maximalen profit statt nach dem maximalen nutzen für die menschen auszurichten?”

ich werde etwas finden, da bin ich mir sicher. nur was es genau sein wird, steht noch nicht fest. doch ich denke mir: wenn du unsicher bist, reise. das erste mal seit jahren habe ich keine verpflichtungen. keine prüfungen, keine verträge, meine wohnung ist gekündigt, mein besitz ist auf ein überschaubares maß geschrumpft und wird eingelagert. ich bin frei. ich habe genug gearbeitet für ein solides polster, das mich einige monate über die runden bringen sollte. mein ziel ist der weg. meine reise soll achtsam und nachhaltig sein, dabei möchte ich mehr zeit in der natur verbringen. die wahl meines reisevehikels fiel daher auf das fahrrad. der plan: ab mai mit dem fahrrad von hannover nach istanbul. ich bin noch nie mit dem fahrrad gereist, noch bin ich ein großer fahrrad freak, ich habe noch nicht mal ein geeignetes bisher, aber das wird schon. irgendwie.

den rest wird die zeit, von der ich nun reichlich habe, zeigen.

 

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